Keimfreies Eis am Knochen

Die moderne Art der keimfreien Zone nennt man in Russland netterweise „Kältetherapie“. Kennt ihr noch nicht ? Lernt ihr hier kennen 😉

Am 19.1. ist in Russland Крещение (Kreschtschenie, Kreschenie oder auch Kreshchenie in der Transliteration), der Dreikönigstag (auch Epiphanias bzw. Epiphanie).

Kreschtschenie! In der Tradition ist überliefert, dass sich an zwei Tagen im Jahr das Wasser reinigt und absolut sauber ist. Am 19.Januar ist es tot, am 22.Juni ist es lebendig. Wer am 19.Januar im Wasser badet, der wird das ganze Jahr nicht krank werden, wer im Sommer badet, der tankt seine Energie auf. In vielen Ländern, auch in Russland stürzen sich also die Menschen an diesem Tag in die Fluten. Üblich ist es, in den Löchern im Eis drei Mal unterzutauchen.

Quelle „Went east“-Blog

Eine weitere Beschreibung zu Kreschtschenie findet ihr hier (sucht nach „drei Könige“).

Viele Leute hier erzählten mir von der Tradition, ins eiskalte Wasser zu gehen. Am 19.1. tagsüber oder in der Nacht vom 18. zum 19. Januar sind dieses Jahr die Außentemperaturen von etwa -30°C für echte Sibiriaken noch nicht wirklich kalt, dieses Jahr ist einfach ein recht milder Winter.
Und als mich meine Bekannten aus Кольцово (Kolzovo) fragten, ob ich das machen wolle, hab ich aus purem Leichtsinn ja gesagt. Zusammen macht auch so was verrücktes Spaß, dachte ich. Und wenn die das machen – warum sollte ich das nicht, schließlich war ich ja schon nach der Sauna auch im „Prorub“.

So habe ich mich bei -25°C dann mit 6 Schichten warm angezogen:

Zwiebel-Look mit 6 Schalen

kurzes Unterhemd, langes Unterhemd (von Giadee gesponsort – ist das nicht ein geiles Gelb?), Hemd, dicker Winter-Pulli, warmes Winter-Jackett und Mantel und wir sind losgestiefelt. Es gibt in der Siedlung Кольцово einen kleinen See im Sommer, der jetzt zugefroren war. Darin hat die Stadtverwaltung speziell für Крещение ein Loch ins Eis schlagen lassen, Treppen reingesetzt und einen Sicherheitsdienst bereitgestellt.

Damit nichts passiert gibt es freundliche Helfer

Angekommen konnte ich dort schon zuschauen, wie einige Leute in das Wasser steigen und mehrfach untertauchen. Die besonders Strenggläubigen von ihnen bekreuzigen sich dabei noch 3mal. Also habe ich erst mal 10 Minuten geschaut, was die da so machen, und wir haben noch auf eine Arbeitskollegin von Katja und Sascha gewartet, aber entweder ist das Auto nicht angesprungen oder sie kam nicht. Also habe ich dann das Abenteuer ganz vorsichtig angepackt.

Schon beim Ausziehen befiel mich die Eiseskälte und ich dachte mir (wieder mal), worauf ich mich da wohl eingelassen habe. Bin ich dazu wirklich bereit? Die Schuhe ausziehen und auf’s Styropor stellen, hatte ich mir von den Vorgängern abgeschaut.

Auch Bakterien mögen es warm 😉

An den Zehen merkte ich als erstes, dass es verdammt kalt war. Der leichte Windhauch, den ich vorher im dicken Mantel nicht gespürt hatte, lies mich erschauern. Die Kälte wurde jetzt für mich direkt „fassbar“. Und dann wollte ich nicht lange frieren sondern einfach rein ins Nass. Weil alles zugefroren war, wäre ich beinah noch ausgerutscht und hingefallen, ging aber nochmal gut.

Im Wasser selber war es dann saukalt, aber ich hatte mich auf noch kälter eingestellt bei -25°C Außentemperatur. Da ist der Geist wohl schon auf das Schlimmste vorbereitet gewesen. Drei mal schnell untergetaucht und dann auf dem kürzesten Weg wieder an Land … Das waren bestimmt keine 20 Sekunden im Wasser, aber sie kamen mir deutlich länger vor. Woran das wohl gelegen hat 😉

Alle Bakterien sind erfroren - Klick auf das Bild fürs Video

Schwierig war das dann beim Anziehen (wie bei der Wechselzone der Triatleten kam es auf die Geschwindigkeit an). Hier war ich schlecht vorbereitet, hatte nach inzwischen 1-2 Minuten Eiszapfen an der Hand statt Fingern und schon kaum noch Gefühl. Jeder Handgriff war umständlich und ging zu langsam. Die Finger verloren zunehmend Gefühl, und wie ich den Knopf der Hose zumachte, konnte ich schon nicht mehr fühlen, hier haben die Augen mehr Befehle gegeben als die Hände.
Und dann wurden die Finger absolut taub beim Zuknöpfen des Mantels, das kam mir wie eine Ewigkeit vor. Meine Finger waren inzwischen abgestorben oder zumindest nahe dran, da hat auch der heiße Tee nur wenig geändert, den Sascha besorgt hat.

Wie fühlt es sich denn an, wenn man aus dem Wasser kommt? Zuerst mal ist es überraschenderweise nicht wirklich kalt. Man fühlt eine gewisse Leichtigkeit, ist erfrischt und munter. So ging es erstaunlich gut, überraschenderweise auch sonst warm. Und so warteten wir auf eine Kollegin meiner Bekannten: sie kam mit der russischen Pünktlichkeit etwa eine halbe Stunde nach unserer Verabredung, und meine Hände waren inzwischen zu Eiszapfen mutiert. Mit etwas Erdbeergeschmack wäre das ein perfektes Eis am Knochen gewesen 😉

Irina Savenko ist und eine Frau mit eiskaltem Willen und heißem Herz, das stellte Sie gleich unter Beweis. Da startete Sie den ganzen Prozess von vorne, schnell bis auf den Badeanzug ausgezogen und rein ins kalte Nass. Dreimal bekreuzigt und sofort wieder raus. Sie war clever und kennt das Prozedere gut. Deshalb hat sie nach dem Abtrocknen sofort einen Bademantel übergezogen, ist in die Schuhe reingestiegen und gleich ins noch warme Auto rein. Keine kalten Finger 😉

Wir sind dann in die nahegelegene Wohnung der Eltern gegangen, und haben dort ebenfalls heißen Tee getrunken. Der Zeiger-Finger war auch nach 2 Stunden überhaupt nicht zu spüren. Tee, warme Wohnung, warmes Abendessen, und dann langsam kehrte das erste Gefühl zurück. Auch am nächsten Morgen war noch deutlich zu spüren, dass da was Kaltes gewesen ist. Nachmittags hatte ich immer noch ein leicht taubes Gefühl, wenn ich den Zeigefinger an den Daumen gedrückt habe. Und heute Mittag, 2 Tage danach, ist es fast nicht mehr zu spüren, alles wieder gut 😉

9 Gedanken zu „Keimfreies Eis am Knochen

  1. Joanna

    das Wasser muss ja dann c. 1Grad gehabt haben oder? oder nahe der Null.. ich haette voll die Befuerchtungen, dass mir die Finger absterben)

    1. Christian Beitragsautor

      Meine Bakterien sind jedenfalls alle gestorben, wahrscheinlich sind denen die Hände erfrorer und jetz können sie nix mehr esseen 😉
      Ich spüre heute noch die Kälte, wenn ich mit dem Daumen am Zeigefinger drücke …
      Aber sonst war es nicht kalt, eher ganz erfrischend nach dem Bad …

  2. Jens

    … wirklich nur der eine Finger? Marina sagt, ich darf dort nicht hin!! Aber ich war am 31.12.11 auch im Bodensee – aber nur einmal untergetaucht, und nirgendswo ein Taubheitsgefühlt. Als ich das Video zum ersten Mal angeklickt habe, ist mir der Rechner glatt abgeschmiert, echt! War Windows wohl auch zu kalt ;-)).

  3. Markus

    Du bist ja verrückt, bei der kälte friert dir ja alles in nu weg.
    Ich wünsche dir erholsame und gesunde Tag.
    Grüße aus dem Frankenland (Lebkoungcity)
    Markus

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